Ab und an unterrichte ich interessierten Fliegenfischern den Wurf mit der Fliegenrute. Dabei bin ich bestrebt, den Kursteilnehmer die Grundlagen für die kraftminimierte, d.h. effiziente Wurftechnik zu vermitteln. Ich bin immer wieder erfreut zu sehen, dass es den meisten Kursteilnehmern schon nach kurzer Zeit gelingt, den Bewegungsablauf, der für die optimale Energieübertragung entlang der Fliegenrute erforderlich ist, umzusetzen.
Einer meiner Kursteilnehmer, der die Grundlagen der effizienten Wurftechnik schnell und gut umgesetzt und zu dem sich ein freundschaftlicher Umgang entwickelt hat, ist Frank Rödel. Frank ist im Sommer regelmäßig in Skandinavien unterwegs, im Winter zieht es ihn im wärmere Regionen. Von seinen Reisen schickt er mir häufig Fotos und manchmal auch Videos von seinen Erlebnissen mit der Fliegenrute. Während ich diesen Artikel schreibe, fischt Frank gerade erfolgreich auf den Seychellen und hat mir folgendes Video geschickt:
Frank ist zu einem erfolgreichen Fliegenfischer geworden, dem die effiziente Wurftechnik ins Blut übergegangen ist, sodass er voll und ganz das Fischen erleben kann, weil er seine Fliege mühelos darbietet.
Als ich meine Arbeit „Experimentelle Untersuchungenen zur Biegung der Fliegenrute“ erstmals veröffentlichte, bestand eine wesentliche Kritik in der Feststellung, dass eine Tarpon-Fliegenrute eine leichtere, also nicht auf diese Fliegenrute abgestimmte Fliegenschnur deutlich weiter als eine auf diese Schnurklasse abgestimmte Fliegenrute werfen könne. Tatsächlich benutzen viele Fliegenfischer, die sich in Turnieren miteinander messen, steifere und oft für höhere Schnurklassen vorgesehene Fliegenruten. So auch Bernt Johansson, dessen turniermäßigen Distanzwurf ich in diesem Video analysiert habe.
Doch der grundlegende Irrtum dieser Kritik liegt darin, dass das Ergebnis alleine noch nichts über die Effizienz aussagen kann. Die Wurfweite alleine ist also kein Maß für die Effizienz. Erst ihr Vergleich mit dem dafür benötigten Aufwand lässt eine Aussage zur Effizienz treffen.
Die geworfene Fliegenschnur lässt sich in drei Abschnitte einteilen: Der sogenannten Oberschnur (1.), die sich über der bereits ausgerollten Unterschnur (2.) abrollt und dem Scheitel-Abschnitt (3.), der die Ober- in die Unterschnur überführt. Dieser Scheitel-Abschnitt wird seit jeher „Schlaufe“ genannt. Am Ende des Wurfes hat sich die gesamte Oberschur über der Unterschur abgerollt und im Idealfall so gestreckt, wie es der Werfer beabsichtigt hat.
Ein ambitionierter Fliegenfischer meinte vor nunmehr längerer Zeit allerdings, dass die Bezeichnung „Schlaufe“ irritieren würde. Stattdessen sei es deutlich realitätsnaher, die Ausbreitung unserer Fliegenschnur als Welle zu beschreiben. Dabei legte der ambitionierte Fliegenfischer insbesondere Wert auf meine Meinung, vielleicht auch deshalb, weil meine Arbeit über die Biegung der Fliegenrute nahelegte, dass ich über ein – sagen wir mal – „naturwissenschaftliches Grundverständnis“ verfügen musste.
Doch bei näherer Betrachtung wurde ich skeptisch, weil (nicht nur) ich einige Unterschiede in den Eigenschaften einer Welle und unserer Fliegenschnur feststellte. Ein für mich wesentlicher Unterschied war und ist, dass Wellen – unabhängig ob Longitudinalwelle oder Transversalwelle – eine Masse zwar in Bewegung bzw. Schwingung versetzen, diese aber nicht transportieren. Als einfache Anschauung kann die „LaOla Welle“ dienen: Sie wird durch ein aufeinanderfolgendes Aufstehen und Hinsetzen der Zuschauer verursacht, ohne dass irgendein Zuschauer seinen angestammten Sitzplatz verändern.
Die Fliegenschnur muss sich schon alleine deshalb etwas anders verhalten, weil wir sie letztendlich werfen und damit ihre Masse in die Wurfrichtung transportieren (in der Analogie mit der LolaOla Welle würden die Zuschauer ihren Sitzplatz also verändern). Vielleicht könnte dem Leerwurf noch eine gewisse Welleneigenschaft zugeschrieben werden, doch spätestens beim Ablegen der Fliegenschnur verschwindet diese Welleneigenschaft. Die Ausbreitung der Fliegenschnur kann meiner Ansicht nach mit Newton’s Gesetz besser beschrieben werden. Worin der Zugewinn liegen sollte, dass wir von „Welle“ anstelle von „Schlaufe“ sprechen sollen, hat sich mir bis heute nicht erschlossen.
Mir ist mit dieser Geschichte bewusst geworden, wie schmal der Grad zwischen „zutreffend“ und „unzutreffend“ bzw. „Erfolg“und „Misserfolg“ sein kann.
Ein Grund, warum ich mich mit den physikalischen Zuammenhängen beim Fliegenwurf ausgiebiger beschäftigt habe, waren Berichte und Videos, in denen die Eigenschaften einer starren Fliegenrute bezüglich des Formens enger Schlaufe und der Wurfweite gelobt wurden. Zu dieser Zeit besaß ich eine sehr steife, wenig biegsame Fliegenrute, die einerseit zwar enge Schlaufen formte, die zu werfen mich andereseits aber auch sehr anstrengte und viel Kraft kostete. So konnte ich mir vorstellen, dass es noch anstrengender und mühsamer sein musste, eine starre Fliegenrute „Broomsick„zu werfen.
Umso mehr war ich verwundert, dass in Foren viele Eigenschaften von starren Fliegenruten gelobt wurden. Das entsprach so überhaupt nicht meinen Vorstellungen vom Fliegenwerfen. Für mich war es immer erstrebenswert, die Fliegen mit so wenig Aufwand wie möglich ins Ziel zu bringen. Mag sein, dass mit der starren Fliegenrute engere Schlaufen geformt werden können. Mag auch sein, dass mit starren Fliegenruten eine etwas größere Wurfweite erreicht werden kann. Doch wenn der Preis für eine vielleicht 5% höhere Wurfweite ein über 50% höherer Aufwand ist, dann bin ich persönlich nicht bereit, diesen zu zahlen. Nur für den turniermäßigen Distanzwurf, bei dem die 5% größere Wurfweite über Sieg und Niederlage entscheiden, würde ich für eine kurze Zeit eine sehr schnelle, fast starre Fliegenrute in die Hand nehmen.
Die Gegenbiegung zu reduzieren ist erstrebenswert, weil sie Energie „verschwendet“, die nicht der Schnurgeschwindigkeit zugute kommt. Wenn die Gegenbietung klein gehalten wird, kann die flexible Fliegenrute ihre Vorteile noch besser ausspielen.