Die geworfene Fliegenschnur lässt sich in drei Abschnitte einteilen: Der sogenannten Oberschnur (1.), die sich über der bereits ausgerollten Unterschnur (2.) abrollt und dem Scheitel-Abschnitt (3.), der die Ober- in die Unterschnur überführt. Dieser Scheitel-Abschnitt wird seit jeher „Schlaufe“ genannt. Am Ende des Wurfes hat sich die gesamte Oberschur über der Unterschur abgerollt und im Idealfall so gestreckt, wie es der Werfer beabsichtigt hat.
Ein ambitionierter Fliegenfischer meinte vor nunmehr längerer Zeit allerdings, dass die Bezeichnung „Schlaufe“ irritieren würde. Stattdessen sei es deutlich realitätsnaher, die Ausbreitung unserer Fliegenschnur als Welle zu beschreiben. Dabei legte der ambitionierte Fliegenfischer insbesondere Wert auf meine Meinung, vielleicht auch deshalb, weil meine Arbeit über die Biegung der Fliegenrute nahelegte, dass ich über ein – sagen wir mal – „naturwissenschaftliches Grundverständnis“ verfügen musste.
Doch bei näherer Betrachtung wurde ich skeptisch, weil (nicht nur) ich einige Unterschiede in den Eigenschaften einer Welle und unserer Fliegenschnur feststellte. Ein für mich wesentlicher Unterschied war und ist, dass Wellen – unabhängig ob Longitudinalwelle oder Transversalwelle – eine Masse zwar in Bewegung bzw. Schwingung versetzen, diese aber nicht transportieren. Als einfache Anschauung kann die „LaOla Welle“ dienen: Sie wird durch ein aufeinanderfolgendes Aufstehen und Hinsetzen der Zuschauer verursacht, ohne dass irgendein Zuschauer seinen angestammten Sitzplatz verändern.
Die Fliegenschnur muss sich schon alleine deshalb etwas anders verhalten, weil wir sie letztendlich werfen und damit ihre Masse in die Wurfrichtung transportieren (in der Analogie mit der LolaOla Welle würden die Zuschauer ihren Sitzplatz also verändern). Vielleicht könnte dem Leerwurf noch eine gewisse Welleneigenschaft zugeschrieben werden, doch spätestens beim Ablegen der Fliegenschnur verschwindet diese Welleneigenschaft. Die Ausbreitung der Fliegenschnur kann meiner Ansicht nach mit Newton’s Gesetz besser beschrieben werden. Worin der Zugewinn liegen sollte, dass wir von „Welle“ anstelle von „Schlaufe“ sprechen sollen, hat sich mir bis heute nicht erschlossen.
Mir ist mit dieser Geschichte bewusst geworden, wie schmal der Grad zwischen „zutreffend“ und „unzutreffend“ bzw. “Erfolg”und “Misserfolg” sein kann.